Vor über zehn Jahren meinte ich, ich müsse auch mal zu Rock am Ring fahren. Zwei Kumpels hatten eine Karte übrig und erfahrende Rock-am-Ring-Veteranen in der Hinterhand. Also nichts wie hin.
Da S., mein Zeltmitbewohner, und ich eher so die faule Sorte Mensch sind, die auf Komfort und Gemütlichkeit keiensfalls verzichten wollen, hatten wir weder Zelt noch Schlafsack. Man merkt hier schon, was das für eine blöde Idee war. Echt jetzt.
So standen wir schließlich auf dem Zeltplatz. Drei Kilometer vom Festivalgelände entfernt. Zwischen lauter Heavy-Metall-Veteranen. Mit unseren Mitreisenden, die dank jahrelanger Übung durchorganisiert waren. Sie hatten zum Beispiel einen Partypavillion dabei. Praktisch, so konnte man die Geschirrhandtücher nach dem Geschirrspülen an deren Stangen zum Trocknen aufhängen. Ich glaube, das war mir am peinlichsten. Ich meine, hey, ein ganzer Campingplatz voller Partyvolk, Bierbüchsen überall und mittendrin eine Spießeroase. Allerdings haten diese Mitreisenden Zitronen, Gin, Tonic und Frühstücksbrettchen dabei. Dies sollte sich noch als überlebensnotwendig herausstellen.
S. und ich hatten unser geliehenes, kackbraun-orange-gestreiftes Textilzelt aufgestellt. Na gut, S. und L. Ich habe zugesehen und den ersten von vielen Gin-Tonics gesüffelt. S. und mir schwante da schon, dass die nächsten drei Tage nicht einfach werden würden.
Es kam, wie es immer kommt. Es goss in Strömen. Der Wind heulte. Und unser geliehendes kackbraun-orange-gestreiftes Textilzelt war dicht wie ein Sieb. Aber: dank unserer erfahrenen Mitreisenden wurde Tapezierfolie (ich weiß immer noch nicht, wo die herkam, bzw. warum die überhaupt wer dabeihatte. Wahrscheinlich will ich´s gar nicht wissen) um unser kackbraun-orange-gestreiftes Textilzelt gewickelt und flatterte fortan fröhlich im Wind. Ich glaube, das war das zweitpeinlichste.
Vom Festival ansich weiß ich eigentlich nicht mehr viel. S. und ich krochen abends am Ende mit den Nerven in unser Zelt, er schloss mir den Mumienschlafsack (von jemand mit wirklich Erfahrung geliehen, LARP sei Dank) liebevoll bis zur Nasenspitze und wir hofften, der nächste Morgen käme schnell und der Abreisetag noch schneller. In der ersten Nacht dröhnte aus dem Nachbarzelt “highway to hell” – wir wussten, welche Autobahn gemeint ist und hätten beinahe geweint. Dank Gin-Tonic und Joint bereits zum Frühstück ist alles andere in gnädigem Nebel versunken.
Am letzten Tag beschloss ich jedoch, auf jede Betäubung zu verzichten. Die rettende Abreise in Richtung Heimat stand ja nur Stunden bevor und irgendwann einmal sollte man schon nüchtern werden. Auf dem Weg zum Konzert lag ein Toilettenhäuschen. Liebgewonnenes Ritual war auf dem Weg zu den Konzerten bzw. wieder zurück zum Zelt, dort Halt zu machen. Dixicharme muss nicht wirklich sein, obwohl S. so lieb war, und mich jedes Mal eskortiert hatte. Jedenfalls suchte ich das Toilettenhäuschen heim, stellte fest, dass man die Tragik dieses Aufenthalts mit Hilfe von regelmäßig auftretenden Hormonverwirrungen, die das Leben als Frau so schön machen, noch sehr viel mehr vestärken kann.
Am letzten Abend standen wir vor der Hauptbühne und warteten auf Rammstein. Und waren schwer beeindruckt, von dieser sagenhaften Pyrotechnik, die wirkte, als fände sie hinter der Bühne statt.
Was soll ich sagen. Mit dem Riesengewitter entlud sich gleichzeitig mein Heimweh und der angestaute Frust und ich stand heulend wie ein kleines Mädchen da. Mit tränenfeuchten Augen konnte ich L. nur noch anschluchzen “ich will nach Hause”. Und ich weiß nicht, ob ihn heulende Frauen umhauen oder ob ich tief im Herzen das aussprach, was wir dachten. Jedenfalls bauten L. & S. mitten in der Nacht im strömenden Regen die Zelte ab und brachten mich endlich nach Hause.
Seit dem weiß ich zweierlei. Erstens: ich werde nienienienie wieder zelten. Egal wann und wo und zu welchem Anlass. Zweitens: fließend warmes Wasser ist so ein Geschenk! Wer nach knapp drei Tagen ohne Dusche endlich wieder im heimischen Badezimmer unter dem heißen Duschstrahl kauerte, wird wissen, was ich meine.