Waschbärdompteur

25
Feb

Ein rant ist ein rant ist ein rant

Ich bin wütend. Ich bin stinksauer. Ich habe Angst. Und ich habe zunehmend das Gefühl, im völlig falschen Film zu sein. Jedenfalls jedes Mal, wenn ich den Fernseher anmache, Zeitung lese, Twitter öffne, mich mit Kollegen unterhalte oder gefühlt auch nur atme.

“Da draußen” ist niemand, der meine Ängste wahrnimmt oder “sich mal mit mir zusammen setzen und reden möchte” oder scheinbar auch nur das schwarze unter seinem Fingernagel für meine Stimme bei irgend einer verfluchten Wahl gibt.

Deutschland wie es jetzt existiert, ist ein junger Staat. Ein Staat, der nach vielen Wirren, Kriegen, Höhepunkten und final dem abscheulichsten Tiefpunkt der menschlichen Existenz entstand. Eine Demokratie, hinter deren Idee ich absolut stehe.

Nazis gab es immer. Die waren anfangs alt und kriegstraumatisiert. Dann glatzköpfig und kriminell. Gefühlt. Jeder Mensch außerhalb dieser überschaubaren Randgruppen lebte einfach in einer Gesellschaft, die bunt war. Der italienische Nachbar. Der türkische Gemüsehändler. Ihr wisst, was ich meine. Ich war als Kind in einer Mutter-Kind-Gruppe, die Hälfte davon waren Türken. Die Mamas hatten Kopftücher auf und kochten total exotische, unfassbar leckere Sachen – und Ende. Ansonsten waren das keine Türken. Keine Ausländer. Keine Anderen. Es waren Umut, Yildiz, Müge und die Mama von Karim und der Papa von Ismael. Später in der Grundschule kamen noch Assunta, Piotr und Fleur dazu. Eine gesunde Demokratie verkraftet auch kranke Anteile.

Damals. In den 1980ern. In der schwäbischen Provinz.

Heute dominieren besorgte Bürger – niemals! es sind nie! Nazis! – die Gesellschaft. Die muss man ernst nehmen! Sind ja ganz normale Bürger! Keine extremistischen, gewaltbereiten Glatzköpfe. Keine schwarz vermummten Krawallos. Einfach mittelalte Menschen, die die Gelegenheit dankbar wahrnehmen, bei einem ganz, ganz harmlosen Spaziergang ihre Meinung kund zu tun. Dass sie das inmitten ultrarechter tun, nunja. Dass sie, anfangs noch gesprächsbereit, auf Nachfragen, womit sie denn so unzufrieden seien, keine wirklich nachvollziehbare Antwort hatten (“GEZ”; “Merkel einfach weg” – ja, aber warum?? Wogegen genau?), geschenkt. Mittlerweile sind sie ja schlauer und reden nicht mehr mit anderen.

Diese besorgten Bürger zünden Asylantenunterkünfte an. Natürlich solange keiner drin wohnt, also ist es ja kein Verbrechen. Und das ist, natürlich, auf gar keinen Fall, rechts, sondern nur Ausdruck von Besorgnis.

Diese besorgten Bürger, die natürlich auf gar keine Fall Faschos sind, sind mittlerweile so viele, dass die Politik Morgenluft wittert. Die Gesellschaft, zum Großteil politikverdrossen, soll endlich wieder an die Urnen. Linke und so denken zu viel und sind unberechenbar. Die gehen nach Frankfurt und finden Kapitalismus nicht gut! Was für Verfassungsfeinde! Wo uns doch der Kapitalismus dahin gebracht hat, wo wir sind. Oder die schicken ihre Kinder auf Gemeinschaftsschulen! Wo soll den da die zukünftige Führungselite herkommen? Nee, nee. Wir müssen unsere Demokratie schon mit voller Härte vor Feinden schützen. Aber diese besorgten Bürger da. Ja, die haben ordentliche Frisuren, sind gewaschen und kommen einem nicht mit veganem Firlefanz!

Da blasen mittlerweile sogar die Grünen ins selbe Horn, völlig vernebelt von Umfragewerten und oh! – unsere Umfragewerte könnten sinken, da werfen wir mal lieber alles Gedankengut, das uns jemals als Grüne auszeichnet, schnell über Bord und halten uns ganz feste die Ohren zu, damit wir unsere innere Stimme, die hoffentlich innen drin ganz leise wispernd noch etwas von Moral und Anstand wimmert, nicht hören müssen, und geifern den extrem gefährlichen Einheitsbrei aus Panikmache vor Asylflut und Weltuntergang.

Selbstverständlich findet ein “besorgter Bürger” das lächerlich. Ich finde das auch lächerlich! Nur gibt es für besorgte Bürger neue Parteien. Für mich nicht.

Ich habe Angst. Angst vor Vereinigungen wie der NSU. Ich habe Angst, weil dem Verfassungsschutz wichtige Akten in den Schredder fallen, ranghohe Polizisten im Ku-Klux-Klan organisiert sind, die Politik daraus nicht wirklich Konsequenzen zieht und die Medien hierüber einfach mal nur sehr, sehr schmal berichten. Ein monströses, beängstigendes Gewirr, das keinen interessiert.

Ich bin wütend. Wütend, weil ich als Frau Alltagssexismus auszuhalten habe, weil ich ansonsten humorlos und vertrocknet bin. Die unsäglichen “Diskussionen” rund um #Aufschrei sind mir noch sehr gut um Kopf. Und wer sich für das Frauenbild in dieser unserer achso schützenswerten Gesellschaft interessiert, frage doch einfach mal Anne Wizorek. Ich brauche und vor allem will ich niemanden, der meine Rechte schützt. Das kann ich gut alleine. Auf gar keinen Fall will ich von solchen Leuten “beschützt” werden.

Ich bin scheißwütend, weil “Asylanten!!!!!!!!” überall allbeherrschendes Thema sind. Erstens: ein großer Teil flüchtet vor einem Krieg. Einem Krieg, der seit Jahren abzusehen war, den halt keiner interessierte. Ergo sind beispielsweise Syrer Bürgerkriegsflüchtlinge. Die ein Bleiberecht nach Genfer Konvention haben. Punkt. Kriegsflüchtlinge! Den Irrsinn, einen Krieg zu erleben, können sich gottseidank nur die wenigstens von uns überhaupt vorstellen!

Zweitens: Andere Flüchtlinge. Repressalien und Verfolgung von Andersdenkenden und deren Familien sind in einem Großteil der Welt leider Gang und Gäbe. Jemand, der wutschäumend “Lügenpresse” geifert, weil er sich falsch zitiert fühlt, sollte eigentlich in diesem Punkt ganz besonders empathisch sein, nicht?

Drittens: Wirtschaftsflüchtlinge. Ach herrje! Jemand sieht sich außerstande, “sein Glück zu machen” und versucht es im vermeintlich Gelobten Land. Möglichkeit a) dieser jemand macht tatsächlich Karriere und hat wirtschaftlichen Erfolg. Glückwunsch! Trägt zum Wachstum unseres Landes bei! b) versagt und wird Sozialfall. Das Geld für den Unterhalt wäre da. Nur ist der Haushalt ein Riesenthema, das einen gesonderten Post verdient. So ganz im Ansatz reicht vielleicht der Gedanke, dass Rüstung und Verteidigung ansich eventuell überdenkenswert sind und Gewinne aus Waffenexporten, die durch Subventionen/Steuervergünstigungen erzielt werden, vielleicht auf der anderen Seite genau die Kriege am Laufen hält, die wiederum Flüchtlinge…. ach, lassen wir das.

Ausländerasylantenfremde sind in erster Linie eines: menschliche Wesen. Gute, schlechte, dumme, schlaue. Menschen wie wir.

Vielleicht sollte man Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte jeden Morgen von der Grundschule an aufsagen, bevor das Tagewerk beginnt:

 Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.

Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.

Wahlkampf, wie er gerade stattfindet. Berichterstattung, wie sie gerade stattfindet, ist alles, nur nicht sachlich. Und das, was dieses Land Großartiges hervorgebracht hat und das ich als die Wurzel Deutschlands und auch tatsächlich als meine Wurzel betrachte, nämlich der Humanismus, ist schon gleich zu Anfang in dieser Mischung als Polemik, heißer Luft und Populismus erstickt.

Dieser “Wahlkampf” hat dafür gesorgt, dass die Worte “gut” und “Mensch” mittlerweile ein Schimpfwort sind. Diese “Berichterstattung” hat dafür gesorgt, dass angesichts der Verrohung und des Hasses noch nicht mal mehr Bilder von weinenden Kindern für Mitgefühl sorgen. Diese “Gesellschaft” hat sich zu etwas verändert, von dem ich kein Teil mehr sein will.

 Februar 25th, 2016  
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11
Feb

Hoppla!

Tja. Manchmal dauert so eine “kleine” Blogpause doch länger, als man anfangs plante. Irre viel passiert, irre viel bewegt. Irre viel vor.

So als Aufwärmübung erst mal mein Jahresrückblick 2015. Das gilt noch, weil ein neues Jahr ja erst mit dem Geburtstag anfängt, und der steht noch an :-)

Haare länger oder kürzer?

Kurz. Ratzfatz. Krisenbedingt, wie es das weibliche Klischee eben so verlangt. Und das von mir, die ich Klischees hasse…

Kurzsichtiger oder weitsichtiger?

Wenn man der Optikerin glaubt, kurzsichtiger. Allerdings bekam ich von der Brille nur Kopfschmerzen und sah noch schlechter, also einfach unentschieden.

Mehr bewegt oder weniger?

Mehr! Wenn ich nicht regelmäßig Auslauf bekomme, werde ich unruhig. Auch so ein Ergebnis der Innenschau – ich brauche viel Natur.

Der hirnrissigste Plan?

Mal eben eine Kiefer-OP durchziehen und glauben, danach wieder zur Tagesordnung übergehen zu können.

Die gefährlichste Unternehmung?

Mit akutem Nervenzusammenbruch Auto fahren. Grenzerfahrung.

Das leckerste Essen?

Immer wieder. Mein Waschbär kocht immer irre lecker. Ich profitiere maßlos davon, dass er gerne gut isst.

Das beeindruckendste Buch?

Uh. Schwierig. Durchschnittlich lese ich 2 – 3 Bücher pro Woche und tauche jedes Mal ab und bin “dabei”. Ein einziges kann ich unmöglich besonders hervorheben. Und bei schlechten Büchern gilt: gleich weg damit, das Leben ist zu kurz, um schlechte Bücher zu lesen!

Der ergreifendste Film?

Uh. Noch schwieriger. Für ganze Filme fehlt mir offen gestanden das Sitzfleisch. Ist wirklich so, dass mich die Aussicht auf 90 Minuten (oder mehr) Stillsitzen schon gleich zu Anfang hibbelig macht. Ich bin Serienfan. Und da kann ich auch mal gerne 3 Folgen (mit kurzer Raucherpause) “durchhalten”.

Serienfavourites:

  • Jessica Jones
  • Sense 8
  • House of Cards
  • Doctor Who

Vorherrschendes Gefühl 2015?

Unruhe. Zerrissenheit. Fluchtmodus. Schmerz. Freude. Liebe. Freiheit.

2015 zum ersten Mal getan?

In einem See geschwommen. Ein richtiger See mit Pflanzen und Fischen und Pipi drin. Bäh! Aber bei 40 Grad im Schatten war mir das alles egal. Und natürlich das tollste Patenkind von Welt eingeschult (und das, wo sie doch erst vor drei Wochen auf die Welt kam!).

2015 nach langer Zeit wieder getan?

Psychotherapie.

Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?

Da fällt mir wirklich nichts ein. Ganz eventuell, weil ich grundsätzlich überzeugend bin, wenn ich etwas für wichtig erachte (was sehr selten der Fall ist)?

Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?

“Es ist schön, dass es dich gibt.”

Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?

Ich hoffe mal, “ich liebe dich” und nicht “das Essen ist fertig” ;-)

Die Vorsätze, die ich hatte?

Ich mache keine Vorsätze. Bei mir hat noch nie irgend eine Planung auch nur im Ansatz funktioniert. Einfach hoffen, dass wir alle nächstes Jahr immer noch gesund und glücklich beieinander sind. Der Rest ist irrelevant.

2015 war mit einem Wort …?

Achterbahn.

09
Apr

Nichts Neues

Der Wiedereinstieg ins Bloggen ist gar nicht mal so einfach, wie man annehmen könnte. Um genau zu sein, habe ich mir das so sehr abgewöhnt, dass ich erst mal gefühlt Stunden brauchte, um mich einzuloggen.

Entweder, ich blogge nicht, weil die Welt unterging oder eben, weil so gar nichts los ist. Glücklicherweise war die Blogpause dieses Mal Letzterem geschuldet.

Nach dem ganzen Geschocke von 2013 und dem Kampf von 2014 war das letzte Jahr geprägt von Gesundwerden. Wobei, wenn ein Arzt sagt, man muss Geduld haben, muss man sehr, sehr, SEHR viel Geduld haben. Also nichts für mich. Außerdem ist es gar nicht mal so einfach, sich tatsächlich glutenfrei zu ernähren. Also aus Krankheitsgründen jetzt. Da merkt man wirklich jede klitzekleine Spur (und ich könnte jetzt weit, weit ausholen, wie verbesserungswürdig die Deklarationen auf den Verpackungen im Allgemeinen und die Bestimmungen im Lebensmittelrecht, was Zusatz- und Hilfsstoffe im Speziellen angeht, sind. Tu´ ich aber nicht.) und das Schöne an Zöliakie ist ja, dass die körperlichen Reaktionen nicht an einem Tag durch sind. Nun ja, man lernt dazu. Und wenn ich wieder mal gefrustet bin, wenn ein wohlmeinender Mensch (hauptsächlich berufene, langjährige Hausfrauen – sorry, ist so) meint, mir sagen zu können, was ich eigentlich doch essen darf, dann schreibe ich darüber mal ausführlicher.

Egal. Jedenfalls geht es ingesamt – langsam, ganz langsam – aufwärts.

Ich habe mich stattdessen auf mich konzentriert. Und das ist jetzt wesentlich weniger einfach, als man das gemeinhin so annehmen könnte. Es liegt in der Natur der Sache, dass wenn die Tage (anfangs) nur ganz vereinzelt gut sind, man sich mehr und mehr auf das “Jetzt” konzentriert. Mein Mantra, das mir mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen ist, ist

Ich. Bin. Jetzt.

Die Betonung variiert öfter, aber ich bete ja nicht stur eine Formel herunter, sondern fühle das ja auch.

Womit ich richtig Schwierigkeiten habe, ist allerdings jeder Bereich, der den Körper tangiert. Das merke ich aktuell ganz besonders wieder. Mich hat vor zwei Wochen auch diese Monstergrippe erwischt. Eine Woche lag ich richtig flach. Dann habe ich meinen Osterurlaub vorgezogen und lag nochmal richtig flach. Jetzt geht´s wieder, aber eben noch nicht so wirklich. Ihr kennt das ja, man ist noch wackelig und müde, aber nicht mehr wirklich krank. Nun ist das ja nichts Schlimmes, man schont sich und peu à peu wird man wieder gesund. Nur habe ich ja bevor es mich endgültig umgehauen hat, fast sieben (!!!) Jahre – im wahrsten Sinne des Wortes – nur überlebt, weil ich sämtliche Gebrechen und Symptome ignoriert und die Zähne zusammengebissen habe. Mehr und mehr Symptome, mehr und mehr Zähnezusammenbeißen. Und BÄM!, nichts geht mehr. Ich kann nicht unterscheiden zwischen “harmlos, wird wieder” und “Alarm!”. Ich kann nur wunderbar ignorieren.

Nun könnte man ja anführen, dass das normal ist und alles insgesamt wieder gut wird und dann auch das Körpergefühl zurück kommt. Mag sein. Hoffe ich. ABER: ich bin so geschult in “Körperflucht”, dass ich zum Beispiel massive Probleme mit/beim Meditieren bekomme. Oder Yoga. Oder allem, das entspannen soll, was manchmal dringend nötig ist. Denn: ich kann tatsächlich sämtliche Engel auf der Nadelspitze zählen. Ich kann innerhalb von zwei, drei Atemzügen tatsächlich nur noch eins mit meinem Atem sein, meine Nasenspitze finden, whatever (es gibt so viele Euphemismen, irre!). Aber das ist eben dann total abgespaced. Das funktioniert so dermaßen automatisch, ich habe das nicht im Griff. Ich kann mich nicht “erden”, obwohl ich genau das echt brauchen könnte. Falls ihr da brauchbare Tipps habt, her damit. Wobei, wie gesagt, ich space ruckzuck ab. Konzentration auf die Beine am Boden – zack!, verbunden mit dem Universum und allen Lebewesen und *flieg*. Ich weiß, klingt nach Luxusproblem, aber in der Realität ist das echt strange.

Nun ja. Ich will andererseits ja auch nicht eine von den Menschen werden, die nur noch auf körperliche Signale fixiert sind und bei jedem Zucken im Zeh gleich in der Notaufnahme landen. Für´s Erste lebe ich einfach im Moment, was glücklicherweise wirklich gut klappt und schaue, dass ich mir möglichst viel Gutes tue.

Mein Leben ist sehr reich an Glücksmomenten, aber darüber bloggen? Ich genieße einfach, ich möchte das nicht zerreden. Außerdem finde ich es immer ein wenig befremdlich, wenn ich Auflistungen über Glücksmomente lese. Ich möchte nicht Buch führen. Und warum sollte ich das dann veröffentlichen?

 April 9th, 2015  
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17
Jul

Fleischeslust

1990 aß ich zum letzten Mal Fleisch. Erst aus Tierliebe, dann aus richtigem Ekel, dann weil es mir einfach in Fleisch (haha!) und Blut übergegangen war. Ich habe aber nie missioniert und wenn jemand Fleisch gerne mochte, war das kein Thema, der Charakter zählt. Ich hatte meinen Tanzbereich, die anderen ihren. Das war und ist mir sehr, sehr wichtig: Leben und leben lassen.  Ernährungsprogramme, Fach- und Sachbücher oder gar Foren gab es noch nicht. 

Es war sogar so, dass ich immer der absolute Exot war und mir von teilweise wildfremden Menschen Vorträge über Gesundheitsnachteile etc. anhören musste oder sich total unbeteiligte Leute berufen fühlten, mich zu meinem ganz persönlichen Lebensstil verhören zu dürfen. 

Vegetarisches Essen unterwegs bestand aus: Pommes. Sojaprodukte gab es in ganz speziellen Ökoläden am Arsch der Welt, wurde von merkwürdigen Leuten verkauft, die mich blöde anglotzen weil ich Deo benutze zum Friseur gehe nicht dem in der Prä-Hipster-Phase gängigen Menschenbild entsprach und schmeckte Scheiße. Alles in allem war ich ständig ein Außenseiter – bei den einen, weil ich vermeintlichen Hirngespinsten nachging, bei den anderen, weil ich vergleichsweise tussig aussah.

In den letzten Jahren war ich völlig fasziniert, welchen Stellenwert die Ernährungsgewohnheiten in unserer Gesellschaft eingenommen haben. Ich meine, es geht um Essen! Ein Problem gibt es in meinen Augen erst, wenn jemand kein Essen hat. Jeder, wie er/sie mag. Das einzige, womit ich immer ein Problem hatte (und habe) ist diese Billig-Mentalität. Fleischprodukte zum Spottpreis und das dann täglich mehrfach, das kann nicht in Ordnung sein. Ansonsten ist der Mensch nun mal einfach ein Allesfresser/Raubtier und das ist auch völlig in Ordnung. Wenn auch nicht für mich. Es gibt mittlerweile eine dermaßen große Auswahl an Veggi-Produkten, dass man echt nichts mehr vermisst. Und schief angesehen wird man ja jetzt eher, wenn man sich als Fleischesser outet. Das ganze Ernährungsding hat beinahe religiöse Züge angekommen, die manchmal direkt gruselig sind.

Ich hatte seither zwei körperlich herausfordernde Phasen durchgestanden und die endeten jeweils in einer wahnsinnigen Gier nach Fleisch. Wenn der Waschbär ein Schnitzel auf dem Teller hatte, hätte ich direkt reinbeißen können. Da lag immer noch ein Leichenteil, aber es war nicht mehr eklig. Nur mit äußerster Willenskraft habe ich mich dann vom Fleischessen abhalten können.

Vor exakt 6 Wochen passierte das Gleiche wieder. Unbändige Fleischeslust. Kein bisschen Ekel mehr. Und ich gab ihr nach. Ich meine, mein Körper hat wirklich nach Fleisch gebrüllt. Und wenn mein Körper nach dieser schlimmen Zeit ein Zeichen gibt, höre ich auf ihn. Hätte ja auch gut sein können, dass es mir nicht schmeckt (keine Ahnung mehr, wie Fleisch eigentlich schmeckt). Oder dass mir davon schlecht wird (mein Organismus hat das Fleischverarbeiten vielleicht echt verlernt?). Oder dass ich aus lauter schlechtem Gewissen schlaflose Nächte bekomme (so what).

Nichts dergleichen. Es war unglaublich lecker! Es hat so wunderbar gut getan! Und seitdem: BÄM! Fleischesser. Ich könnte jeden Tag. Und es tut mir gut! Ich weiß, dass meine Nährstoffmängel von anderen Baustellen kamen/kommen. Ich weiß, dass man auch vegetarisch gesund leben kann. Ich weiß nicht, ob das eine Phase ist oder ob ich mich um 180° gedreht habe. Ich weiß nur: das Leben ist kurz. Und wenn dein Körper Signale sendet: hör auf ihn!

Tja. Ich jetzt so. Ich staune über mich selber. Aber solange ich sonst keine merkwürdigen Gelüste entdecke, genieße ich einfach das Leben. Und lecker Essen. 

 Juli 17th, 2014  
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16
Jul

Tadaaaa!

So. Therapie erfolgreich zu Ende gebracht!! Die letzten vier Monate waren wirklich ein harter Ritt, aber hat sich gelohnt – die Erregeranzahl ist auf eine minimale, nicht mehr behandlungsbedürftige Anzahl geschrumpft. Ganz ehrlich, ich war so gerüht, dass ich nasse Augen bekam. Das hat wiederrum meinen Doc so gerührt, dass er, zum ersten Mal seit ich ihn kenne, richtig menschlich wurde. Hach!

Es gibt noch viel mehr zu verbloggen, aber so für´s Erste muss ich mich jetzt freuen, freuen und nochmal freuen ;-)

Bis bald ihr Lieben. Hach!

 Juli 16th, 2014  
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29
Mrz

Neues

So ziemlich unmittelbar nach dem letzten Post war alles wieder gut. Jedenfalls hat der Waschbär realisiert, was mich gerade so umtreibt und wie wichtig mir deshalb einige Dinge sind. Das Häuschen wird bald unseres sein. Das bedeutet zwar, den Schwager auszahlen und eine Riesenbaustelle wegen Umbauarbeiten, aber da ist noch ein bisschen hin und mein Zuhause ist sicher.

Relativ spontan kam mir auch die Eingebung, sofort nach Teilzeit zu fragen und nicht erst, wenn ich im Juli die neuesten Blutergebnisse bekomme und die miserabel sind. Natürlich befristet, bis die Tablettenrunde vorbei ist. Relativ geringe Heilungschance heißt ja wohl, dass – wenn auch marginal – eine Heilungschance besteht. Und ich will mir nichts vorwerfen müssen und ich will gesund werden. Die ganze Geschichte ging binnen eines Tages über die Bühne, dienstags habe ich mal unverbindlich in der Personalabteilung nachgefragt, mittwochs hatte ich die Genehmigung.

Wie es immer so ist, war dann Theorie und Praxis doch zweierlei. Anstatt mittags nach Hause zu gehen und zu entspannen, Zeit für mich zu haben, brach der Stress los und ich kam abends total am Ende nach Hause.

Jetzt ist allerdings erst mal Ruhe und ich kann mit Entspannen loslegen. Also, sofern das klappt, wenn man sich´s vornimmt. Ich sehe das aber ziemlich optimistisch. Das wird jetzt erst mal eine Umstellung und ich werde wohl nicht die Nachmittage im Straßencafé verbringen, aber endlich mal so ein bisschen den Kopf frei kriegen und die Dinge gelassener sehen zu können ist auch unendlich wertvoll.

 März 29th, 2014  
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 Dompteuse inside, Häuschen, kunterbunte Arbeitswelt  
   
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07
Mrz

Weltuntergang

So, Emopost jetzt. Aber sind wir ehrlich: wenn du jahrelang schwächelst und dann final umfällst, hast du keine Freunde mehr, bei denen du dich ausheulen kannst. “Fakten auf den Tisch” gehört auch zu meinem neuen Ich.

So. Als ich im Januar die Testergebnisse vom Doc bekam, war mir fast schlecht vor Angst. Ich hatte noch im Hinterkopf, dass die Behandlung entweder funktioniert oder eben nicht. Im Falle von “eben nicht” hätte das 4 Monate Antibiotika bedeutet. Nun beuteln mich die Spezialtabletten schon genug, ich wusste, Antibiotika hätte mich wieder in Grund und Boden gebeutelt. Das nachdem ich mühselig wieder so etwas wie Leben hatte, hätte ich psychisch nicht durchgestanden.

Nun interessierte das meinen Waschbär leider so gar nicht. Ich bat ihn im Vorfeld mehrfach, mit mir mitzukommen, wenn die Ergebnisse da sind. Er hat es da ein wenig an Begeisterung fehlen lassen, aber das ist verständlich. Warum um ungelegte Eier sorgen. Und das auch noch, bevor überhaupt Ergebnisse da sind. Außerdem war er ja im letzten Jahr zu genüge mit mir beim Arzt. Als die Benachrichtigungspostkarte – ausgerechnet an einem Freitag! – dann da war, bat ich ihn, einen Termin auszumachen. Es ist nämlich so, dass ich jederzeit Urlaub nehmen kann, er jedoch mit dem Hotel ziemlich eingespannt ist. Ich weiß nicht, wie´s euch geht, aber ich interpretiere mehrfaches Spontaneinschlafen als komplettes Desinteresse. Vor allem, wenn es mehrfach an zwei Tagen passiert.

Nun bin ich letztes Jahr durch die ganze Geschichte so gedemütigt worden (Danke, Frau Dr. W.. Danke, DAK), dass ich nicht darum betteln wollte, nicht alleine ins Sprechzimmer zu müssen. Also hab ich die Sache auf sich beruhen lassen und gleich Montag morgens beim Doc angerufen und Gottseidank gleich noch für den gleichen Tag einen Termin bekommen. Jeder Tag mehr Warten hätte mich in den Irrsinn getrieben.

Der Arzt erzählte mir dann, dass meine Laborergebnisse insofern spitze waren, als ich, was den Borrelienindex (fragt mich nicht, ich weiß es selbst nicht) angeht, von 50 auf 6 gesunken bin. Ergo, die Behandlung funktioniert. Das ist aber immer noch ein schlechter Wert. Die meisten seiner Patienten würden um den Dreh rum erst mit der Therapie anfangen.

Also wieder vier Monate Tabletten. Das alleine hat mich schon massiv runtergezogen, ich wusste einfach, dass mir ein erneuter Kampf bevorsteht. Buchstäblich, ich herxe von der ersten bis zur letzten Tablette und das ist alles, nur kein Spaziergang. Wenn´s auch ein gutes Zeichen ist.

Dass er mir weiterhin gesagt hat, dass meine Krankheit chronisch ist, hatte ich dann mehr so im Hinterkopf. Er hat mir sehr ausführlich erläutert, dass es im Grunde so läuft, dass ich mit Tabletten den Bakterienbestand auf Null bekommen kann. Dass die Dinger aber eben intrazellulär sind. Also eine der hartnäckigsten Krankheiten, die man bekommen kann. Falls also tatsächlich – was ansich unwahrscheinlich ist – tatsächlich alle gekillt sind, es durchaus sein kann, dass “schlafende” tief im Gewebe reaktiviert werden und die ganze Scheiße wieder und wieder und immer wieder ausbricht. Fakt: ich bin chronisch krank und werde nie wieder das sein, was ich mir persönlich unter “gesund” vorstelle. Ich habe das dem Waschbär dann natürlich alles gleich erzählt, ich kann alles, nur akute Gefühle verbergen nicht. Das Interesse war eher so mittelmäßig. Der Waschbär ist erstens Meister im Verdrängen und zweitens im “Aufschieben bis die Katastrophe dann tatsächlich da ist”. Ich beneide ihn darum, ich raube mir ziemlich viel Kraft, indem ich mir im Vorfeld massiv Gedanken mache und Pläne schmiede. Ich brauche immer einen Plan B und C und D, um mich sicher zu fühlen.

Als erstes galt es dann, die allererste, brutale Herx-Zeit durchzustehen. Ich nahm dann erst mal – halbtags – Urlaub. Ich wollte alles, nur nicht schon wieder arbeitsunfähig sein. So ein kleines bisschen festhalten am Strohhalm. Das hat auch gut funktioniert. Wenn ich morgens aufgestanden bin und es ging mir dreckig, hielt mich die Aussicht aufrecht, dass ich wenigstens nicht den ganzen Tag durchstehen müsste. Und ich hatte Ansprache und wenigstens das Gefühl, Teil der Gesellschaft zu sein. Das war mir unheimlich wichtig und hat mich auch getragen.

Dann nach einer Woche Vollzeit hat mich eine Mörder-Erkältung erwischt. Was für mich sogar ein gutes Zeichen war, ich war jahrelang immer irgendwie krank und nichts kam raus. Dass ich, wie alle anderen “normalen” Menschen auch, einfach nur eine Erkältung kriegen kann, war so wunderschön. Unfassbar, für was man alles dankbar wird.

Ich begann mich mehr und mehr zu verändern und fand das gut. Gleichzeitig mit dieser Selbstfindung kam die Erkenntnis, was dieses chronisch krank in allerletzter Konsequenz bedeutet. Es bedeutet nicht, dass mein Leben vorbei ist, sondern dass ich aufhören kann, immer nur auf Besserung zu warten. Dass ich eben das genieße, was ich habe. Das mag in anderen Augen vielleicht lächerlich klingen, aber eine Tasse Kaffee wirklich genießen muss und kann vor allem den Stadtbummel im Frühling ersetzen. Ich weiß nicht, wie die ganze Geschichte weitergeht. Ob ich tatsächlich im Mai, wenn meine vier Monate vorbei sind, tatsächlich einen gewissen Grad an “Fitness” erreiche. Wie lange es dauert, bis der Scheiß zurück kommt. Ob er überhaupt zurück kommt. Erstens stecke ich mitten in der Behandlung und zweitens kann ich den Verlauf eh nicht aufhalten oder beeinflussen. Und dann ganz wichtig: wenn ich durch die Lieblingskollegin etwas gelernt habe, dann, dass das Leben so verdammt kurz ist. Und dass es tatsächlich so ist, dass Gott laut lacht, wenn man ihm von seinen Plänen erzählt. Das Jetzt zählt.

Ich habe also verinnerlicht, dass ich den Alltag zelebriere. Dass ich mich um mich kümmern muss. Dass es mir verdammt gut gehen kann, auch wenn durch Krankheit und geschädigte Nerven mein Körper nicht so wirklich mitziehen mag. Dass ich mir mein Heim eben schön mache, weil ich das Draußen momentan? für immer? abschreiben kann. Mein Häuschen, so schön. So sicher. Mein Hafen und Kraftort.

Der Körper, der so viel hat mitmachen müssen und immer noch mitmacht, braucht spezielle Pflege und Aufmerksamkeit. Ich merke, dass ich für einen 100%-Job nicht die Kraft habe. Noch vor ein paar Wochen hätte ich das ignoriert. Ich hätte eben den Arbeitsalltag gewuppt und mich und mein Privatleben ignoriert. Dazu bin ich aber nicht mehr bereit. Wenn es eben Vollzeit nicht geht, dann Teilzeit. Ich will nicht so existieren, dass ich abends im Schlafzimmer liege, weil alle Nerven buchstäblich blank liegen (psychisch weil überreizt, körperlich mit Ataxie und/oder Übelkeit) und mich nur der Gedanke aufs Wochenende aufrecht hält. Weil ich dann da, nachdem ich den Haushalt, den ich unter der Woche nicht packe, genug Ruhe habe, um zu lesen oder mich auf mich zu konzentrieren. Dabei aber die ganze Zeit zu tot zum Telefonieren bin. Oder zum Bloggen. Geschweige denn, mal Bekannte zu besuchen. Es gibt jetzt kein “wenn ich wieder gesund bin” mehr für mich. Es gibt nur noch ein “wie hole ich das beste für mich aus den Gegebenheiten raus”. Also habe ich mich Anfang der Woche entschlossen, die Sache mit der Teilzeitarbeit anzuleiern. Ob es vielleicht die Möglichkeit der Befristung gibt. Wie viel das letztendlich netto ausmacht, all sowas. Und dann ernsthaft in Erwägung ziehen.

Donnerstag kam ich nach Hause. Der Waschbär verkündete, dass es einen Interessenten für unser Häuschen gäbe. Auch hier gilt: Fakten auf den Tisch. Das Haus gehört seiner Mutter. Zwar war immer wieder die Rede davon, dass wir es überschrieben bekommen, aber noch gehört es ihr. Es stand wohl schon immer im Raum, dass, sollte es jemals einen Interessenten geben, der den verlangten Preis zu zahlen bereit ist, das Haus verkauft wird. Das war/ist aber so utopisch, dass das nie ernsthaft im Raum stand und noch nicht mal mehr im Hinterkopf war.

Bäm! das Haus wird verkauft werden. Das Heim, das ich mir geschaffen habe und das mir soviel Sicherheit gibt.

Es gäbe die Option, Schwiegermamas Häuschen zu bekommen. Es ist alles, nur nicht altengerecht und mit Mitte 60 und ein paar Ersatzteilen in den Gelenken will sie was Neues für sich. Es ist im verhassten Nachbarlandkreis. Es ist häßlich. Ich will hier nicht weg. Aber finanziell wäre es so immerhin von Vorteil. Ich könnte weiter nach mir schauen und man kann alles zu seinem Heim machen. Blöder Zeitpunkt und von nicht vorhandenen Kräften für einen Umzug mal ganz zu schweigen, aber ein Plan B.

Nun ist es so, dass der Waschbär eben grundsätzlich anders an solche Dinge herangeht als ich. Schon zu Zeiten, als ich noch fit war. Er geht schonmal nicht davon aus, das dieser Interessent überhaupt die Finanzierung für unser Häuschen hinbekommt. Und selbst wenn, dann kauft man eben ein neues Haus. Also nicht dieses häßliche Reihenhaus, in dem seine Mutter gerade wohnt, sondern ein ganz eigenes, hübsches Häuschen. Wir bekommen einen Anteil an der Verkaufssumme und der Rest wird finanziert. Ein freistehendes Fachwerkhaus mit Garten. Und am Liebsten noch Anbau.

So ein kleines bisschen Weltuntergang war für mich, dass mein Hafen weg ist. Gerade, als ich nach Langem endlich, endlich wieder Lebensqualität hatte. Gut, das war eigentlich ein großer Weltuntergang. Ein weiterer Weltuntergang war, dass ich eben nicht Teilzeit arbeiten kann, weil ich eine Hausfinanzierung eben nicht so gechillt sehe, wie mein Optimistenbär. Der allerschlimmste Weltuntergang ist aber: die ganze Nummer jetzt läuft genauso wie die Sache mit dem Arzt. Ich bin tatsächlich absolut verzweifelt im Moment. Entwurzelt und das erste Mal überhaupt: hoffnungslos. Nicht mal mehr so sehr wegen der Wohnsituation, sondern weil der Waschbär mich einfach im Stich lässt. Weil er geradezu aggressiv wird, wenn ich hier verzweifle. Weil er sich einfach hinlegt und schläft oder vor den PC sitzt. Weil er total kühl mir gegenüber ist.

Ich weiß, dass wir im Moment so gar keine Pläne machen können, weil alles so dermaßen schwammig und im Anfangsstadium ist. Aber ich kann psychisch und physisch gerade nicht sachlich an die Sache herangehen. Absolut nicht. Und ich weiß auch, dass es seine Art ist, mit schlechten Dingen umzugehen, indem er sie einfach buchstäblich zu Tode ignoriert. Nur hilft mir dieses Wissen absolut nicht weiter. Im Gegenteil. Ich bräuchte jetzt einfach dringend einen Menschen, der mich in den Arm nimmt. Der sich meine Ängste anhört. Und der ein ganz kleines bisschen empathisch ist und mich und meine Sorgen ernst nimmt. Wenigstens einmal im Leben.

07
Feb

Veränderungen

Ich vermute mal, dass das nicht der einzige Artikel bleibt, der sich damit beschäftigt, wie ich mich verändert habe. Also im doppelten Sinn – sowohl persönlich als auch die Art und Weise.

Ich bin erwachsen geworden. Früher dachte ich immer, das sei das Schlimmste, das einem passieren kann. Jetzt bin ich froh. Ich mag den Menschen, der ich bin. Als “ich” habe ich mich nämlich nie wirklich wahr genommen. Da waren immer Menschen, deren Gefühle wichtiger waren als ich. Da waren Rollenbilder, die ich erfüllen wollte. Meine Bedürfnisse konnte ich schlicht deshalb nie erfüllen, weil ich sie nicht hatte. Oder spürte. Oder mir erlaubte, sie zu spüren. Whatever.

Ich nahm mir zwar oft vor, zukünftig egoistischer zu werden – egoistisch insofern, als ich zuallererst nach mir schauen muss, nicht egoistisch insofern, als andere unwichtig werden – habe das aber nie geschafft. Jetzt mache ich das automatisch. Ich muss nicht nachdenken oder mich zwingen, ich weiß schlicht und ergreifend, dass niemand für mich oder meine Gefühle verantwortlich ist. Genausowenig, wie ich für die Gefühle anderer zuständig bin. Früher habe ich ganz automatisch das gemacht, was den anderen glücklich macht. Einfach, weil ich besser wusste, was anderen guttut, als ich das von mir selber wusste.

Das Tolle daran ist ja, dass das ganz automatisch passiert ist. Ich habe das Häuschen umgestaltet. Mir ist gerade mehr nach cleanem Wohnstil, als nach Romantik. Und ich brauche Klarheit, aber auch Geborgenheit, also habe ich aufgehört, mit Kompromissen zu leben, sondern mir wirklich jede Ecke hier gemütlich und schön gemacht. Weil ich selbst Alltägliches so wirklich genießen und manchmal richtiggehend zelebrieren kann. Eine Zeitschrift beispielsweise liest sich in einer hübschen Leseecke mit Kerzenschein eben doch ganz anders. Ein Stück Lebensqualität.

Überhaupt, Zelebrieren ist mir mittlerweile sehr wichtig geworden. Das Leben ist so verdammt kurz und nichts, wirklich gar nichts, ist sicher. Was habe ich also davon, wenn ich meine Bodylotion von Chanel für die wirklich wichtigen Anlässe aufhebe, mich aber morgen der Schlag trifft? Eben. Ein paar Kerzen beim Duschen, anschließend genussvoll eincremen und schon ist der Abend etwas besonders. Selbst, wenn es nur ein Montag ist. Warum das teure Parfüm aufsparen, wenn man doch gerade im grauen Alltag gut Glamour braucht? Selbst morgens ins Büro gehen ist sagenhaft – nach einem halben Jahr, indem ich nicht mal an die Mülltonnen gehen konnte, ist das ein wunderbares Gefühl. Das teure Geschirr, die tollen Gläser im Schrank stehen lassen? Zu was? Orangensaft aus Weingläsern schmeckt nicht nur, sondern gibt ein gutes Gefühl. Und wenn´s zu Bruch geht – man kann es ersetzen. Lebenszeit und vor allem -qualität nicht.

Es ist glaube ich nicht mal diese Krankheit, beziehungsweise die Art und Weise, wie mit mir umgegangen wurde, die mich so traumatisiert hat (nicht nur), sondern das Wissen, dass unheimlich viel Zeit dadurch einfach verloren ging. Ich bin leider immer noch nicht mobil genug für Museumstouren oder selbst Kinobesuche. Aber ich genieße jeden Augenblick, einfach, weil er kostbar und einzigartig ist. Und schon allein, dass ich das kann, ist schon ein riesiger Fortschritt :D Nicht mehr abwarten, bis es besser wird, oder mir endlich jemand hilft, sondern genießen, leben und – hoffentlich – wieder ganz auf die Beine kommen.

“Erwachsen sein” heißt für mich: meine Naivität ist verpufft. Ich sehe vieles klarer, kann mich aber entscheiden, ob und wie ich die Welt an mich heranlasse. Nachrichten sind ein Jammertal. Aber indem ich das Leid der Welt auf mich lade, mache ich sie dadurch kein Stück besser. Ebenso habe ich jetzt endlich erkannt, dass der einzige Mensch, der für mich verantwortlich ist, ich bin. Wenn´s hart auf hart kommt, ist man eh auf sich allein gestellt. Es gibt keine Zauberfee, die kurz schnippt und alles gut macht. Nach mir selbst schauen heißt für mich Verantwortung tragen.

 Februar 7th, 2014  
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24
Jan

Lebenszeichen

Demnächst geht´s hier weiter – versprochen.

Das letzte Jahr war hammerhart. Tatsächlich und absolut furchtbar. An einem schönen Sommertag im Mai hat es mich buchstäblich umgehauten. Von einem Tag zum anderen war ich zu gar nichts mehr fähig – gehen, stehen, denken, sprechen – nichts davon ging mehr. Die Geschichte ließe sich jetzt ins Unendliche ausdehnen, von Ärzten, die wieder per Sichtdiagnose eine psychische Ursache diagnostizieren, von einem Arzt, der endlich, endlich untersucht und noch wichtiger: gefunden hat, von Kampf mit der Krankenkasse, von ewig langer Behandlung und K(r)ampf….

Aber das will keiner lesen – und deshalb auch die lange Funkstille. Ich weiß jetzt, dass mein Nervensystem in den letzten Jahren buchstäblich vor die Hunde ging und dass das an einer jahrelang gepflegten, weil unbehandelten, Neuroborreliose liegt. Die Behandlung ist lang und zäh, momentan bin ich im zweiten Zyklus. Aber ich kann seit Dezember wieder arbeiten gehen und bin wieder Mensch. Zwar verändert und zehn Kilo leichter, aber am Leben.

Zu meinem ganzen Gesundheitsdrama kam noch eine erschütternde Nachricht, die mich immer noch beschäftigt und mich das Leben ganz anders wahrnehmen lässt: Ich hatte Recht. Mitte Juli hat sie sich nach über 35 Dienstjahren zum ersten Mal krank gemeldet. Am dritten August ist sie gestorben.

 

 Januar 24th, 2014  
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13
Feb

Vom Freuen

In den letzten Tagen ist mir etwas sehr Merkwürdiges aufgefallen. Ich dachte, in all der Zeit, in der ich mich mit meiner Erziehung beschäftigt habe, in der ich also herausgefunden habe, dass nicht alles „normal“ lief und mir mühselig erst erlauben musste, dass auch zuzugeben, in der ich mich damit beschäftigt habe, mir über die Konsequenzen für mein jetziges Sein und Handeln klar wurde, hätte ich damit gleichsam alles überwunden und würde Stück für Stück freier – in Denken und Handeln.

In meiner Wahrnehmung von Psychologie und Therapie war es so, dass Erkenntnis quasi mit „Heilung“ oder Verarbeitung fest verknüpft war. Ein theoretischer, intellektualisierter Prozess.

Was ich – und das ist das Schockierende für mich – schlichtweg übersehen habe ist, dass ich im Prinzip genau die gleiche Schiene fahre, auf der ich schon immer gefahren bin. Nur eben auf anderer Ebene. War ich die ersten 32 Jahre meines Lebens immer von der psychischen Verfassung meiner Mutter abhängig, war ich es die letzten beinahe 4 Jahre von etwas übergeordnet Nebulösem. Und genauso diffus und subtil, wie es der Druck meiner Mutter war ist auch dieses Nebulöse. Je nach Tagesform war das Wetter, das Universum, mein Unterbewusstsein, … schuld daran, dass ich einfach nicht fit und gesund wurde. Fakt war: ich hatte ständig etwas Neues. Hexenschuss, Grippe, Erkältung, komischer Virus, Kreislauf… Kaum war das Eine überstanden, kam das Nächste. Und weil man eben gegen Viren machtlos ist, konnte ich nichts dagegen tun. Man kann sich selbst viel Gutes tun, aber wenn man Fieber und Matschbirne hat, will man eben nicht spazieren gehen, sondern nur schlafen. So als Beispiel jetzt.

Früher™ durfte ich nicht glücklich, selbstbestimmt, gesund und fröhlich sein, weil das a) ein Ich bedeutet hätte und b) meine Mutter unglücklich gemacht hätte [diffus insofern: war ich krank, war sie erst recht unglücklich. Ich hätte ein Drehbuch erfüllen sollen, das ich nicht kannte. Aber es war nun mal so, dass jede Freude - Lebhaftigkeit -  von mir – noch im Kleinkindalter – so dermaßen negativ bewertet wurde, dass ich lernte, mich eben nicht zu freuen.]. Die Mutter fiel weg, ich wurde mir dieses Mechanismus´ bewusst – und wurde trotzdem nicht gesund. Dass ich mir das selbst erlauben muss, dass ich mich von gar nichts abhängig machen muss, sondern selbst für mich verantwortlich bin und deshalb sein darf, das musste mir erst tatsächlich holzhammermäßig bewusst werden.

Und – jetzt gerade aktuell – wieder diese Falle. Ich dachte eigentlich, mich hätte ein Virus erwischt. Weil so zittrig und übel, das kann ja nur krank sein. Dass ich mich tatsächlich gerade auf etwas freue, das fiel mir heute Morgen wie Schuppen von den Augen und hat mich erst mal fassungslos gemacht. [Ich bestelle freitags ein Auto, das ich eine Woche später abholen kann. Einen Tag später erwischt mich dieser Virus. Da kann doch kein Zusammenhang bestehen, außer dem, dass mir die Freude wieder einmal verleidet wird und ich Bammel habe, so fit zu sein, um das Teil sicher heimzubekommen.]

Ich weiß, dass ich immer körperlich reagiere, wo Gefühle sind. Ich weiß, wo das herkommt. Ich weiß es verdammt nochmal. Aber nicht mitbekommen, dass man sich freut ist schon eine harte Nummer. Freude als Krankheit zu interpretieren und sich dadurch Stress zu machen, ist eine noch härtere Nummer. Irgendwie nutzt mir dieses ganze Wissen einen alten Käse.

 Februar 13th, 2013  
 Dompteuse  
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