Ich habe da einen Kollegen. Der ist sehr anstrengend. Wie so viele Männer < 1,65 m hat er ein klitzekleines Ego-Problem. Natürlich neben seinen vielen anderen Problemen wie Nachbarschaftsstreit, Stress, Geldsorgen und wasauchimmer. Grundsätzlich ist er der Allerärmste, er hat kein Geld (aber alle anderen), er ist ständig krank (ganz unschuldig) und keiner nimmt ihn ernst (HB-Männchen…). Seine Fingernägel sind bis zum Knochen abgenagt, er hat Migräne, einen nervösen Darm, kann keine zwei Minuten still stehen und nimmt wirklich jeden Infekt mit, der umgeht. Deshalb verbringt er täglich Stunden mit Jammern und vor allem sich-aufregen. Nun ist das ja theoretisch egal, soll er sein Leben leben wie er mag, es stört ja nicht weiter. Nur, wenn man schnell was von ihm will und eigentlich keine Zeit hat, dank seiner stundenlangen Jammervorträge aber zu nichts kommt, ist das nervtötend. Leider hat er aber Kinder in die Welt gesetzt. Und es wundert mich überhaupt nicht, dass sein Sohn auf ADHS diagnostiziert wurde.
Ich persönlich glaube nicht, dass jede “Störung” vom Hirnstoffwechsel ausgeht. Ich bin kein Profi, aber jede “Störung”, die ich mitbekommen habe, hatte Ursachen und nach deren Beseitigung war auch die “Störung” weg. [Störung deswegen in Anführungszeichen, weil normalerweise alles, was außerhalb der Norm (was ist schon normal? und wer legt das fest?) stattfindet, eine gesunde Reaktion auf ungesunde Faktoren ist.] Jedenfalls ist “Hirnstoffwechselstörung” ja eine super Sache. Keiner ist “Schuld” an irgendwas, man kriegt tolle Tabletten und alles ist wunderbar. Ganz ohne Anstrengung, ganz ohne Selbstreflexion. So in diesem Falle auch. Der mittlerweile 6jährige, der schon immer verhaltensauffällig war, bekommt seit gut einem Jahr Ritalin und alle sind glücklich. Nur vor kurzem nicht, da hat Papa vergessen, den Sohn morgens unter Drogen zu setzen. War ein ganz anstrengender Tag (der arme Kollege!) und nicht mal ein “wenn du heute brav bist, darfst du heute Abend fernsehen” half.
Unser Neffe musste auch einmal mit ADS-Verdacht zum Gutachter. Der Kleine hatte insofern Glück, als dieser Gutachter eine Koryphäe auf dem Gebiet Kinderpsychologie ist und auch seine Eltern sehr aufgeschlossen sind. Ergebnis: der Kleine hat eine Klasse übersprungen und damit die Grundschule verlassen und seine Mama ist jetzt nach erfolgreicher Psychotherapie endlich bei sich selbst angekommen und ausgeglichen. Alle glücklich. Und keiner kriegt die Synapsen mit Hilfe von Chemie möglicherweise für den Rest seines Lebens verbogen.
Moderne Variante des Circles of Life: Geburt – Ritalin – Valium – Viagra – Tod.
Wie gesagt, ich bin absolut kein Fachmann. Aber dieses “wir futtern eifrig Pillen, bringen den Hirnstoffwechsel durcheinander, wissen aber nicht, ob es hilft und was es anrichtet” finde ich ganz schlimm. Wenn man bei kleinen Kindern solche “Therapien” anwendet, empfinde ich das als Körperverletzung.