Als es mir vor drei Jahren schlecht ging, wusste ich eigentlich gleich, warum ich so gestresst bin. Und auch, dass ich – bei aller Heftigkeit der Symptome – da wieder herauskomme, sobald ich Ruhe habe. Derealisation, Depersonalisation, Panikattacken, Kreislaufbeschwerden – es war alles schlimm. Es war alles beängstigend. Aber es fühlte sich nie gefährlich an.
Zusätzlich wurde mir immer wieder schwindelig. Und dieser Schwindel fühlte sich nie “echt” an. Er war nie Teil dieses Beschwerdekomplexes, der mit meiner Psyche zu tun hatte.
Nach einem halben Jahr still- und aushalten ging ich dann doch zum Arzt. Oder vielmehr, wurde gegangen. Der Waschbär konnte das Elend nicht mehr mit ansehen und begleitete mich.
Es mag sicher so sein, dass viele Beschwerden, vor allem Schwindel, psychische Ursachen haben. Die meisten Patienten sind anfangs nicht so einsichtig und durchlaufen erst Mal die komplette Diagnostik, bevor sie dann doch eine Therapie anfangen.
Wie toll ist es also für einen Arzt, wenn ein Patient kommt und frei weg zugibt, ein psychisches Problem zu haben? Ein Patient, der ganz sachlich sämtliche Symptome schildert und die Erklärung dafür gleich mit? In meinem ganz persönlichen Fall lief es so ab, dass ich wie oben genau beschrieben habe, was los ist. Und dazu den Schwindel erwähnte, der am störendsten war, und für den ich keine Ursache ausmachen konnte.
Meine damalige Hausärztin erklärte mir, dass ich eine Depression habe. Auf meine Einwände, dass dem eben nicht so sei, ging sie gar nicht ein. Ich war nicht nur einmal in ihrer Sprechstunde und jedes Mal bekam ich ausführlich erklärt, ich sei “kränker, als ich denke”. So eine “Krankheit ist sehr schlimm und in den meisten Fällen nicht wirklich heilbar”. “Depression ist nicht das, was Sie sich darunter vorstellen”. Wenn man das gebetsmühlenartig vorgesagt bekommt, glaubt man es. Vor allem, wenn man psychisch in einer eher instabilen Verfassung ist. Schwache, wackelige Beine? Vegetatives Nervensystem. Taube Fingerspitzen? Ich hyperventiliere, ohne dass mir das bewusst ist.
Dieselbe Ärztin war übrigens tödlich beleidigt, als ich ihr ach so tolles Antidepressiva in die Tonne trat, weil mich die Nebenwirkungen so richtig fertig gemacht haben. “Da darf man sich halt nicht so anstellen, man muss auch mal die Zähne zusammenbeißen” (!!!!)
To make al long story short: ich habe hart an mir gearbeitet und meine Therapie sehr ernst genommen. Nach und nach ging es mir immer besser und ich sah vieles deutlicher. Ich bin im Grunde ernsthaft dankbar für die Gelegenheit, so vieles aufgearbeitet zu haben und jetzt eine ganz andere, bewusstere Wahrnehmung zu haben.
Bis auf den Schwindel. Der hat nie aufgehört. Da ich ja “wusste”, dass Schwindel eigentlich Angst ist, habe ich brav Angsttraining gemacht. Wenn es mir übel ging, bin ich trotzdem weggegangen. Ich habe jede “angstauslösende Situation” (von denen ich gelesen habe. “Angst” habe ich ja nie gefühlt) gesucht, die es so gibt. Und war immer nur frustriert. Die Lehrmeinung sagt ja, dass wenn man etwas tut, das einem Angst macht und das “überlebt”, wird man dann so euphorisch, dass quasi das Gehirn von Alarm auf Genuss umgepolt wird. Jedes Gehirn. Nur meines nicht. Ich war immer nur enttäuscht, weil es mir vor, während und nach eines Einkaufsbummels o. ä. schwindelig war. Oder eben nicht, je nach Tagesform.
Aber, wir erinnern uns, ich bin irrer, als ich dachte. Nach all der Zeit ohne wirklich Fortschritte war ich beinahe soweit, die Flinte ins Korn zu werfen, mich einweisen zu lassen und Teil des deutschen Pharmazie-und-Psychiatrie-Drehtür-Mechanismus zu werden.
Bis ich an Weihnachten einen Männerschnupfen bekam. Und der sich auf die Stirnhöhlen legte. Und sich das über Wochen so gar nicht löste – egal, was ich tat. Dies führte letzten Freitag zu einem Besuch beim HNO-Fachmann. Der mich gleich ins CT legte. Wo wiederum der Strahlendoc einen Blick auf die Bilder meiner Nebenhöhlen (die übrigens völlig frei sind) warf und lapidar meinte: “dass ihre Halswirbelsäule total im Eimer ist, wissen Sie ja. Sie müssen ja schon heftige Symptome haben. Übelkeit, Schwindel, wackelige Beine, taube Finger…”
Einerseits bin ich erleichtert, dass es tatsächlich eine Ursache gibt. Andererseits bin ich unfassbar wütend. Andere Patienten wissen, dass sie gesund sind. Mir wurde nicht mal Blut abgenommen. Ich habe mittlerweile tatsächlich eine Macke ab, weil ich so verinnerlicht habe, dass ich Angstpatient bin, dass ich mich gerade ganz schwer mit rein körperlichen Ursachen beschäftigen kann.
[Nächste Woche: MRT und dann schaun mer mal. Vielleicht lässt sich noch was retten]