Waschbärdompteur

Feb
25

Ein rant ist ein rant ist ein rant

Ich bin wütend. Ich bin stinksauer. Ich habe Angst. Und ich habe zunehmend das Gefühl, im völlig falschen Film zu sein. Jedenfalls jedes Mal, wenn ich den Fernseher anmache, Zeitung lese, Twitter öffne, mich mit Kollegen unterhalte oder gefühlt auch nur atme.

“Da draußen” ist niemand, der meine Ängste wahrnimmt oder “sich mal mit mir zusammen setzen und reden möchte” oder scheinbar auch nur das schwarze unter seinem Fingernagel für meine Stimme bei irgend einer verfluchten Wahl gibt.

Deutschland wie es jetzt existiert, ist ein junger Staat. Ein Staat, der nach vielen Wirren, Kriegen, Höhepunkten und final dem abscheulichsten Tiefpunkt der menschlichen Existenz entstand. Eine Demokratie, hinter deren Idee ich absolut stehe.

Nazis gab es immer. Die waren anfangs alt und kriegstraumatisiert. Dann glatzköpfig und kriminell. Gefühlt. Jeder Mensch außerhalb dieser überschaubaren Randgruppen lebte einfach in einer Gesellschaft, die bunt war. Der italienische Nachbar. Der türkische Gemüsehändler. Ihr wisst, was ich meine. Ich war als Kind in einer Mutter-Kind-Gruppe, die Hälfte davon waren Türken. Die Mamas hatten Kopftücher auf und kochten total exotische, unfassbar leckere Sachen – und Ende. Ansonsten waren das keine Türken. Keine Ausländer. Keine Anderen. Es waren Umut, Yildiz, Müge und die Mama von Karim und der Papa von Ismael. Später in der Grundschule kamen noch Assunta, Piotr und Fleur dazu. Eine gesunde Demokratie verkraftet auch kranke Anteile.

Damals. In den 1980ern. In der schwäbischen Provinz.

Heute dominieren besorgte Bürger – niemals! es sind nie! Nazis! – die Gesellschaft. Die muss man ernst nehmen! Sind ja ganz normale Bürger! Keine extremistischen, gewaltbereiten Glatzköpfe. Keine schwarz vermummten Krawallos. Einfach mittelalte Menschen, die die Gelegenheit dankbar wahrnehmen, bei einem ganz, ganz harmlosen Spaziergang ihre Meinung kund zu tun. Dass sie das inmitten ultrarechter tun, nunja. Dass sie, anfangs noch gesprächsbereit, auf Nachfragen, womit sie denn so unzufrieden seien, keine wirklich nachvollziehbare Antwort hatten (“GEZ”; “Merkel einfach weg” – ja, aber warum?? Wogegen genau?), geschenkt. Mittlerweile sind sie ja schlauer und reden nicht mehr mit anderen.

Diese besorgten Bürger zünden Asylantenunterkünfte an. Natürlich solange keiner drin wohnt, also ist es ja kein Verbrechen. Und das ist, natürlich, auf gar keinen Fall, rechts, sondern nur Ausdruck von Besorgnis.

Diese besorgten Bürger, die natürlich auf gar keine Fall Faschos sind, sind mittlerweile so viele, dass die Politik Morgenluft wittert. Die Gesellschaft, zum Großteil politikverdrossen, soll endlich wieder an die Urnen. Linke und so denken zu viel und sind unberechenbar. Die gehen nach Frankfurt und finden Kapitalismus nicht gut! Was für Verfassungsfeinde! Wo uns doch der Kapitalismus dahin gebracht hat, wo wir sind. Oder die schicken ihre Kinder auf Gemeinschaftsschulen! Wo soll den da die zukünftige Führungselite herkommen? Nee, nee. Wir müssen unsere Demokratie schon mit voller Härte vor Feinden schützen. Aber diese besorgten Bürger da. Ja, die haben ordentliche Frisuren, sind gewaschen und kommen einem nicht mit veganem Firlefanz!

Da blasen mittlerweile sogar die Grünen ins selbe Horn, völlig vernebelt von Umfragewerten und oh! – unsere Umfragewerte könnten sinken, da werfen wir mal lieber alles Gedankengut, das uns jemals als Grüne auszeichnet, schnell über Bord und halten uns ganz feste die Ohren zu, damit wir unsere innere Stimme, die hoffentlich innen drin ganz leise wispernd noch etwas von Moral und Anstand wimmert, nicht hören müssen, und geifern den extrem gefährlichen Einheitsbrei aus Panikmache vor Asylflut und Weltuntergang.

Selbstverständlich findet ein “besorgter Bürger” das lächerlich. Ich finde das auch lächerlich! Nur gibt es für besorgte Bürger neue Parteien. Für mich nicht.

Ich habe Angst. Angst vor Vereinigungen wie der NSU. Ich habe Angst, weil dem Verfassungsschutz wichtige Akten in den Schredder fallen, ranghohe Polizisten im Ku-Klux-Klan organisiert sind, die Politik daraus nicht wirklich Konsequenzen zieht und die Medien hierüber einfach mal nur sehr, sehr schmal berichten. Ein monströses, beängstigendes Gewirr, das keinen interessiert.

Ich bin wütend. Wütend, weil ich als Frau Alltagssexismus auszuhalten habe, weil ich ansonsten humorlos und vertrocknet bin. Die unsäglichen “Diskussionen” rund um #Aufschrei sind mir noch sehr gut um Kopf. Und wer sich für das Frauenbild in dieser unserer achso schützenswerten Gesellschaft interessiert, frage doch einfach mal Anne Wizorek. Ich brauche und vor allem will ich niemanden, der meine Rechte schützt. Das kann ich gut alleine. Auf gar keinen Fall will ich von solchen Leuten “beschützt” werden.

Ich bin scheißwütend, weil “Asylanten!!!!!!!!” überall allbeherrschendes Thema sind. Erstens: ein großer Teil flüchtet vor einem Krieg. Einem Krieg, der seit Jahren abzusehen war, den halt keiner interessierte. Ergo sind beispielsweise Syrer Bürgerkriegsflüchtlinge. Die ein Bleiberecht nach Genfer Konvention haben. Punkt. Kriegsflüchtlinge! Den Irrsinn, einen Krieg zu erleben, können sich gottseidank nur die wenigstens von uns überhaupt vorstellen!

Zweitens: Andere Flüchtlinge. Repressalien und Verfolgung von Andersdenkenden und deren Familien sind in einem Großteil der Welt leider Gang und Gäbe. Jemand, der wutschäumend “Lügenpresse” geifert, weil er sich falsch zitiert fühlt, sollte eigentlich in diesem Punkt ganz besonders empathisch sein, nicht?

Drittens: Wirtschaftsflüchtlinge. Ach herrje! Jemand sieht sich außerstande, “sein Glück zu machen” und versucht es im vermeintlich Gelobten Land. Möglichkeit a) dieser jemand macht tatsächlich Karriere und hat wirtschaftlichen Erfolg. Glückwunsch! Trägt zum Wachstum unseres Landes bei! b) versagt und wird Sozialfall. Das Geld für den Unterhalt wäre da. Nur ist der Haushalt ein Riesenthema, das einen gesonderten Post verdient. So ganz im Ansatz reicht vielleicht der Gedanke, dass Rüstung und Verteidigung ansich eventuell überdenkenswert sind und Gewinne aus Waffenexporten, die durch Subventionen/Steuervergünstigungen erzielt werden, vielleicht auf der anderen Seite genau die Kriege am Laufen hält, die wiederum Flüchtlinge…. ach, lassen wir das.

Ausländerasylantenfremde sind in erster Linie eines: menschliche Wesen. Gute, schlechte, dumme, schlaue. Menschen wie wir.

Vielleicht sollte man Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte jeden Morgen von der Grundschule an aufsagen, bevor das Tagewerk beginnt:

 Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.

Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen.

Wahlkampf, wie er gerade stattfindet. Berichterstattung, wie sie gerade stattfindet, ist alles, nur nicht sachlich. Und das, was dieses Land Großartiges hervorgebracht hat und das ich als die Wurzel Deutschlands und auch tatsächlich als meine Wurzel betrachte, nämlich der Humanismus, ist schon gleich zu Anfang in dieser Mischung als Polemik, heißer Luft und Populismus erstickt.

Dieser “Wahlkampf” hat dafür gesorgt, dass die Worte “gut” und “Mensch” mittlerweile ein Schimpfwort sind. Diese “Berichterstattung” hat dafür gesorgt, dass angesichts der Verrohung und des Hasses noch nicht mal mehr Bilder von weinenden Kindern für Mitgefühl sorgen. Diese “Gesellschaft” hat sich zu etwas verändert, von dem ich kein Teil mehr sein will.

 Februar 25th, 2016  
 Dompteuse  
 Dompteuse inside  
   
 0 Comment

Hinterlasse eine Antwort

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind markiert *

*

Du kannst folgende HTML-Tags benutzen: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <strike> <strong>

*