Waschbärdompteur

Jul
17

Fleischeslust

1990 aß ich zum letzten Mal Fleisch. Erst aus Tierliebe, dann aus richtigem Ekel, dann weil es mir einfach in Fleisch (haha!) und Blut übergegangen war. Ich habe aber nie missioniert und wenn jemand Fleisch gerne mochte, war das kein Thema, der Charakter zählt. Ich hatte meinen Tanzbereich, die anderen ihren. Das war und ist mir sehr, sehr wichtig: Leben und leben lassen.  Ernährungsprogramme, Fach- und Sachbücher oder gar Foren gab es noch nicht. 

Es war sogar so, dass ich immer der absolute Exot war und mir von teilweise wildfremden Menschen Vorträge über Gesundheitsnachteile etc. anhören musste oder sich total unbeteiligte Leute berufen fühlten, mich zu meinem ganz persönlichen Lebensstil verhören zu dürfen. 

Vegetarisches Essen unterwegs bestand aus: Pommes. Sojaprodukte gab es in ganz speziellen Ökoläden am Arsch der Welt, wurde von merkwürdigen Leuten verkauft, die mich blöde anglotzen weil ich Deo benutze zum Friseur gehe nicht dem in der Prä-Hipster-Phase gängigen Menschenbild entsprach und schmeckte Scheiße. Alles in allem war ich ständig ein Außenseiter – bei den einen, weil ich vermeintlichen Hirngespinsten nachging, bei den anderen, weil ich vergleichsweise tussig aussah.

In den letzten Jahren war ich völlig fasziniert, welchen Stellenwert die Ernährungsgewohnheiten in unserer Gesellschaft eingenommen haben. Ich meine, es geht um Essen! Ein Problem gibt es in meinen Augen erst, wenn jemand kein Essen hat. Jeder, wie er/sie mag. Das einzige, womit ich immer ein Problem hatte (und habe) ist diese Billig-Mentalität. Fleischprodukte zum Spottpreis und das dann täglich mehrfach, das kann nicht in Ordnung sein. Ansonsten ist der Mensch nun mal einfach ein Allesfresser/Raubtier und das ist auch völlig in Ordnung. Wenn auch nicht für mich. Es gibt mittlerweile eine dermaßen große Auswahl an Veggi-Produkten, dass man echt nichts mehr vermisst. Und schief angesehen wird man ja jetzt eher, wenn man sich als Fleischesser outet. Das ganze Ernährungsding hat beinahe religiöse Züge angekommen, die manchmal direkt gruselig sind.

Ich hatte seither zwei körperlich herausfordernde Phasen durchgestanden und die endeten jeweils in einer wahnsinnigen Gier nach Fleisch. Wenn der Waschbär ein Schnitzel auf dem Teller hatte, hätte ich direkt reinbeißen können. Da lag immer noch ein Leichenteil, aber es war nicht mehr eklig. Nur mit äußerster Willenskraft habe ich mich dann vom Fleischessen abhalten können.

Vor exakt 6 Wochen passierte das Gleiche wieder. Unbändige Fleischeslust. Kein bisschen Ekel mehr. Und ich gab ihr nach. Ich meine, mein Körper hat wirklich nach Fleisch gebrüllt. Und wenn mein Körper nach dieser schlimmen Zeit ein Zeichen gibt, höre ich auf ihn. Hätte ja auch gut sein können, dass es mir nicht schmeckt (keine Ahnung mehr, wie Fleisch eigentlich schmeckt). Oder dass mir davon schlecht wird (mein Organismus hat das Fleischverarbeiten vielleicht echt verlernt?). Oder dass ich aus lauter schlechtem Gewissen schlaflose Nächte bekomme (so what).

Nichts dergleichen. Es war unglaublich lecker! Es hat so wunderbar gut getan! Und seitdem: BÄM! Fleischesser. Ich könnte jeden Tag. Und es tut mir gut! Ich weiß, dass meine Nährstoffmängel von anderen Baustellen kamen/kommen. Ich weiß, dass man auch vegetarisch gesund leben kann. Ich weiß nicht, ob das eine Phase ist oder ob ich mich um 180° gedreht habe. Ich weiß nur: das Leben ist kurz. Und wenn dein Körper Signale sendet: hör auf ihn!

Tja. Ich jetzt so. Ich staune über mich selber. Aber solange ich sonst keine merkwürdigen Gelüste entdecke, genieße ich einfach das Leben. Und lecker Essen. 

 Juli 17th, 2014  
 Dompteuse  
 Dompteuse inside  
   
 2 Comments

2 Responses to Fleischeslust

  1. Ihre Worte haben mich an bestimmte Wachstumsphasen meiner Tochter erinnert, an denen sie gefühlt nur einen kleinen Schritt davon entfernt war, das rohe Fleisch im Ganzen vom Schneidbrett weg zu futtern. Bin mir nicht sicher, ob Ihr Körper (Der vorige Eintrag! Großartig!!!) nicht derzeit doch speziell tierisches Protein braucht…

    • Ich interpretiere das auch als “der Körper braucht’s halt”. Und bis jetzt tut’ (und schmeckt) einfach nur gut. Ich denke, der Körper weiß am besten, was er braucht. Man muss nur leider oft erst lernen, drauf zu hören…

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